Courmayeur Champex Chamonix (CCC)

Der CCC wird unter Läufern als kleine Schwester des Ultra Trail du Mont Blanc (UTMB) bezeichnet und folgt dem internationalen Weitwanderweg, dem Tour du Mont Blanc (GR TMB), in weiten Teilen. Diese junge Dame lernte ich etwas näher kennen und bin beeindruckt von ihrer Schönheit, ihrer Stärke aber auch ihren Launen und ihrer Verschlagenheit.

Bereits vor dem Rennen setze ich mich mit dessen Herausforderungen und Unbekannten auseinander. Die Kombination aus Länge der Strecke, Höhenprofil, Beschaffenheit des Untergrundes, Gepäck sowie die Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit vermag sich im Laufe des Rennens in eine nahezu explosive Mischung zu entwickeln. Die Strecke führt uns auf Bergpfaden teils durch hochalpines Gelände (>2500m), das Wetter kann augenblicklich umschlagen und persönliche Autonomie mit entsprechender Ausrüstung ist absolute Voraussetzung. Getränke werden in 10km Abständen zur Verfügung gestellt, Nahrung ist ungleich weniger vorhanden.

Vor dem Start herrscht eine ruhige aber fröhliche Stimmung in Courmayeur. Die 1900 Teilnehmer sitzen auf der Straße, tummeln sich in den italienischen Cafés oder stehen in Warteschlangen vor den sanitären Einrichtungen. Vorsichtig klettere ich über die seitliche Absperrung und reihe mich im vorderen Bereich des Starterfeldes ein. Die letzten Minuten moderiert ein dreisprachiges Team und heizt die Menge an. Nationalhymnen ertönen und die bunte Masse wird ganz still; es läuft mir eiskalt über den Rücken.

“Auf den ersten 55km bis Champex bloß nichts riskieren” befehle ich mir zum x-ten Mal, dann geht es endlich los.
Nach einem kurzen, flachen Stück in Courmayeur steigen wir zur Refuge Bertone (12,3km; 800Hm) auf. Schlagartig verschärft sich der Anstieg und ich kann kaum den ganzen Fuß aufsetzen ohne nach hinten zu kippen. Die Strecke zieht sich entlang der Südseite des Berges und die Sonne brennt bereits erbarmungslos auf der Haut. Nach dem Passieren des Gipfels in 2584m Höhe stürze ich mich in den Abstieg. Der Pfad fällt jedoch fast senkrecht ab und ist technisch höchst anspruchsvoll. Vor mir steigt ein Hubschrauber senkrecht in die Höhe und ich pflüge mit rasender Geschwindigkeit den Kamm entlang in Richtung Tal. Dieser Abschnitt kostet mich zu viel Kraft und der Abstand zu meinen Verfolgern wächst nur minimal, daher ändere ich meine Taktik.
Nach 26,2km und 3:11h erreiche ich Arnuva, die erste Verpflegungsstation. Ein paar Kekse und weiter, denn es herrscht bereits brütende Hitze und auch beim zweiten Anstieg auf 2537m schmoren wir erbarmungslos in der Sonne. Mein Magen ist durch die Erschütterungen gereizt und verarbeitet die zugeführte Flüssigkeit nur langsam, zu langsam um einer Dehydrierung entgegen zu wirken. Ich streife mein Basecap ab und zu durch einen Bach und kühle damit den Kopf. Der Abstieg erscheint zunächst moderat, später wellig. Mein Kopf brummt und ich verliere Plätze, die Motivation befindet sich auf dem Tiefpunkt.
In La Fouly erreiche ich nach 40 km und 5:10h die zweite Verpflegungsstation. Hier nehme ich mir Zeit, fülle Wasser auf und halte meinen Kopf unter den kräftigen, kühlenden Strahl. Die folgenden 10km spule ich zügig ab, danach zäher aber ich hole auf. Während des Anstiegs nach Champex befinden sich vor mir drei Athleten, die sichtlich kämpfen aber ich halte Abstand, bewusst gehe ich mein Tempo – kontrolliert. Schließlich erreichen wir Champex (6:57h; 54,7km; 3000Hm) und ich bin sichtlich erschöpft. Der Blick in die anderen Gesichter motiviert mich zusehends und nach wenigen Minuten starte ich in den Abend, das eigentliche Rennen beginnt.

Entlang der Hauptstraße erwidere ich die freundlichen Grüße der Zuschauer und laufe dem Sonnenuntergang und damit dem nächsten Berg entgegen. Nach wenigen Kilometern werden die Schritte kürzer, der Weg ähnelt einer Treppe mit hüfthohen Stufen. Aus der Höhe sehe ich meine Verfolger, schier endlos windet sich der Pfad um den Gipfel bis zum Checkpoint (8:38h; 64km; 3704Hm). Der Abstieg nach Trient gleicht einer Erlösung, die knapp 800Hm bis ins Tal vergehen wie im Flug. Auch der vorletzte Anstieg beginnt zunächst hoffnungsvoll, fordert jedoch schon bald die letzten Kräfte. Nach Erreichen des höchsten Punktes setzt mir der kalte Wind in der Höhe zu, ich unterzuckere stark und erste Symptome treten ein. Umgehend verschlinge ich drei Riegel, ziehe die Jacke über und verringere das Tempo radikal, mehrfach muss ich sogar pausieren.

Nass erreiche ich den Talort Vallorcine, obzwar höchst-atmungsaktiver Membran (eVENT) und führe die rettende Cola in exzessiven Dosen zu. Kurze Zeit später lassen kleine, weiße Lichter in der Höhe den gewaltigen finalen Anstieg von 850Hm erahnen. Menschen, die bei Regen, Schnee oder einsetzender Dunkelheit keinen Fuß vor die Tür setzen oder aufgrund von erhöhter Unfallgefahr den Sportbetrieb auf das Laufband beschränken, vermag die Vorstellung in 2130m Höhe um 2300 Uhr bei 2-3m Sichtweite und Temperaturen um den Gefrierpunkt durch zerklüfteten Fels zu fegen dem Infarkt ein ganzes Stück näher zu bringen. Wenigen bleiben diese unendliche Vollkommenheit und damit unvergesslichen Eindrücke vorbehalten.

Der letzte Schluck des süßen, braunen Elixiers rinnt durch meine Kehle und mit einem zuversichtlichen Lächeln schieße ich die sieben Kilometer in Richtung Ziel. Steine, Wurzeln, hohe Absätze, Wald formen eine Zielgerade, wie sie angemessener nicht sein könnte. Nach 14:34h, 97,7km und 5505Hm erreiche ich Chamonix.

Thomas Bohne

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.