Die Amerikanerin Mary Gadams nahm selbst an zahllosen Ultramarathonläufen, Wüstenrennen und Abenteuerrennen teil, bevor sie 1996 RacingThePlanet gründete. Ihr Ziel war es, Menschen in die verbliebenen abgeschiedenen Regionen unserer Erde zu führen. Sie ist allerdings nicht die Geschäftsführerin eines Reiseunternehmens, sondern schickt Extremsportler auf 250 km lange Läufe. RacingThePlanet veranstaltet seitdem mit der 4-Deserts Serie vier Etappenläufe, die Athleten durch die vier größten Wüsten unserer Erde führen: das Dünenmeer der Sahara in Ägypten, die heißen Ebenen der Gobi in China, die vertrockneten Salzseen der Atacama in Chile und nicht zuletzt durch die klirrend kalten und schier unerreichbaren Eisfelder der Antarktis. Während der Rennen tragen die Läufer ihre komplette Ausrüstung am Körper, lediglich Zelte und Wasser werden von der Organisation bereitgestellt.
Vor dem Start
Ich steige am 20. Juni um 23:00 Uhr auf dem Flughafen Ürümqi aus dem Flugzeug und ein warmer Wind weht über meine Haut. Augenblicklich steigt der Geruch der Wüste in meine Nase und weckt Erinnerungen an vergangene Rennen in dieser Region. Wenige Minuten später treffe ich weitere Mitarbeiter von RacingThePlanet aus Hongkong, Großbritannien und den Vereinigten Staaten in einem Hotel in der Stadt. Chuck empfängt mich bereits in der Lobby, denn er kann es kaum erwarten aufzubrechen. Wir beide arbeiten in den folgenden zwei Wochen für RacingThePlanet. Unsere Hauptaufgabe ist die Bereitstellung einer markierten, sicheren 250 km langen Strecke für 152 Athleten und die Positionierung der einzelnen Teams der Organisation während des Rennens. In einer Gegend mit geringer Infrastruktur, extremen Naturgewalten, einem internationalen Team und nicht zuletzt eigensinnigen Fahrern stellt dies eine gewaltige Herausforderung für zwei Personen dar. Chuck Walker hat bereits alle großen Wüsten durchquert und scheint nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen.Während ich die wenigen Stunden im fünf Sterne Hotel im King-Size Bett versinke, beobachte ich, wie sich Chuck neben meinem Bett in seinen Schlafsack rollt. Am nächsten Morgen verlassen wir die Millionen-Metropole und fahren in Richtung Wüste.
Die Temperaturen steigen stetig, bei knapp 46 Grad Celsius Innentemperatur sitzen wir reglos im Auto, Klimaanlage: Fehlanzeige. Nach ca. 6 Stunden erreichen wir eine Stelle in der Wüste, die später als Camp dienen soll und entdecken erstes Leben. Völlig unerwartet vollführt Fahrer Hassan plötzlich hektische Bewegungen und zeigt vor sich auf den Boden. Zwei lange ”Arme“ bedrohlich in die Höhe gestreckt, rast eine handtellergroße Kreatur auf acht Füßen zwischen unseren Beinen hindurch. Ein Einheimischer bestätigt uns, dass diese Spinnen nicht giftig sind, jedoch Skorpione fressen. Ich stelle mir die Begegnung mit den freiwilligen Helfern vor und grinse leicht zu Chuck, der trocken meint: ”Then I guess they live where the food lives.“ Wir sind uns einig, die Nacht lieber weit entfernt in den Sanddünen zu verbringen.
In den nächsten Tagen markieren wir Abschnitte im Turpan Becken – sprichwörtlich ein Freiluftgrill. Ich greife in der Mittagshitze nach meiner Wasserflasche; sie ist heiß. Gerde platziere ich eine Flagge auf einem Erdwall, da erblicke ich ein tiefes Loch vor mir. Offenbar haben Einheimische an dieser Stelle nach Grundwasser gegraben. So weit das Auge reicht, formen hunderte Hügel eine bizarre Kraterlandschaft. Sorgsam entwerfe ich einen Parcours um die Hindernisse herum, um plötzliches Abtauchen von Athleten zu vermeiden. Chuck verliert indes im vertrockneten Aydingkol-Salzsee 154 m unter dem Meeresspiegel seine Schuhsohlen. Der Kleber zwischen Schuh und Sohle hat sich durch die Hitze gelöst. Als er seinen Wasservorrat an einer Oase auffüllen möchte, schnaubt ihn eine Herde Kamele an und versperrt ihm den Weg zur Quelle. Er watet behutsam durch das mit Kameldung gefüllte Wasserloch und beginnt sich zu erfrischen, da taucht neben ihm ein riesiger Schatten auf. Er fühlt den feuchten Atem eines Kamels direkt an seinem Körper. Im nächsten Augenblick schleckt eine glitschige, raue Zunge quer über seinen Rücken.
Die Berge
Nach den Erlebnissen im Turpan Becken blicken wir erwartungsvoll auf die Bergetappen und fahren in ein Dorf auf 2000 m Höhe. Um 02:00 Uhr nachts öffnet uns kein Tor, so werfen wir unsere Schlafsäcke auf einen leeren Anhänger am Straßenrand und schlafen unter leuchtenden Sternen ein. Ein kleiner Strom bringt etwas Wasser ins Dorf, so dass die Bauern Weintrauben und Pfirsiche anbauen können, was dem Dorf den Namen Peach Village gibt. Dennoch lassen der Zustand der Häuser und die Kleidung der Menschen auf ein Leben in Armut und Dürre schließen. Hier im Tian Shan Gebirge geben plötzlich weggespülte Straßen und Temperaturstürze von 20°C innerhalb von 15 Minuten einen kleinen Eindruck von den Naturgewalten, die diese Landschaft prägen.
Das Rennnen
Am 26. Juli startet das Rennen und damit ändert sich auch unser Tagesablauf. Als die Athleten die Startlinie überschreiten, sind wir bereits seit zwei Stunden auf der Strecke und überprüfen alle Wegmarkierungen. Oft fegen nächtliche Stürme die kleinen pinkfarbenen Fähnchen in weite Ferne oder Ziegen führen an ihnen Geschmackstests durch, ganz zu schweigen von der Anziehungskraft, die diese leuchtenden Farben auf Nomaden ausüben. Kurz nach Sonnenaufgang stoße ich auf eine Herde Kühe in den Bergen, die erschrocken auf und davon stürmt. Etwas besorgt verfolge ich die munteren Galoppsätze der Kühe in einen steilen Abhang hinein und frage mich, wie viele lebend unten ankommen. Einige Kehren später treffe ich die Herde erneut und mein Blick fällt spontan auf das Tier mit Hörnern und ohne Euter, das mich mit erhobenem Haupt mustert. Die Athleten wundern sich später sicherlich, dass der Kurs an dieser Stelle von der Ideallinie abweicht.
Als ich am zweiten Tag des Rennens das Zelt verlasse, umhüllt mich ein milchiger Schleier aus Dunst. Läufer Gian Mins sagt dazu später: ”Ich dachte ich bin im Himmel.“ Über Nacht ist dichter Nebel aufgezogen und die Sichtweite beträgt nur noch wenige Meter. Das Course Team sitzt auf das Fahrzeug auf; wir verschwinden in der grauen Masse und entfernen zwei Bergabschnitte von der heutigen Etappe. Der am Vortag Erstplatzierte Australier David Goerke nutzt die Gelegenheit und erreicht das Ziel heute bereits nach 1,5 Stunden, andere Läufer schonen sich auf der kurzen Etappe, denn sie ahnen was ihnen noch bevorsteht. Die Nacht verbringen wir erneut in Peach Village, werden jedoch diesmal fürstlich von Einheimischen bewirtet. Am folgenden Tag bereiten die lediglich zwölf Familien des Dorfes für 200 Personen ein außergewöhnliches Nachtlager.
Wenn Chuck von ”rechtmäßigen“ Dünen spricht, kann das nur bedeuten, dass die bis dahin härteste Etappe des Rennens ansteht. Die atemberaubende Schönheit der endlos erscheinenden Sanddünen gerät so schnell in den Hintergrund. Bereits beim Markieren der Etappe versinke ich tief im glühend heißen Sand und verbrenne mir meine Zehen. An besonders steilen Anstiegen zieht mich ein unsichtbares Band beständig bergab. Einige Athleten stoßen hier an ihre Grenzen, werden jedoch vom wüstentauglichen Besenwagen, dem Kamel, eingesammelt und zum nächsten Checkpoint geschaukelt. Wenige Kilometer weiter hat ein Sturm die Markierungen weggetragen, jedoch befolgen alle Athleten unsere Anweisungen vom Morgen und folgen einem frei stehenden Zaun bis zum Camp – bis auf die Koreaner. Wir schütteln ungläubig unsere Köpfe als wir erfahren, dass die Koreaner den dichten Stacheldrahtzaun überklettert haben und nun neue Wege beschreiten. Jedoch gelangen auch an diesem Abend alle Athleten sicher ins Camp und tauschen dort ihre Tageserlebnisse am Lagerfeuer oder im Ärztezelt aus. Unwesentlich überrascht aber durchaus erheitert vernahm ich die Nachricht, dass im Tagesverlauf eine der handtellergroßen Spinnen im Ärztezelt an der Decke haftete und für Aufregung sorgte. Die familiäre Atmosphäre bei RacingThePlanet wird einem bereits beim Betreten des Camps deutlich. 39 verschiedene Nationalitäten sind bei diesem Gobi March vertreten und 19 freiwillige Helfer opfern ihren Urlaub für eine Woche harte Arbeit. Wer einmal bei einem dieser Läufe war, nimmt neben den Eindrücken und neuen Bekanntschaften auch ein unbeschreibliches Gefühl mit nach Hause.
The Long March
”Der lange Marsch“ bezeichnet mit 80 km die längste Etappe des Laufes. Zunächst führt eine unwirkliche, graue Mondlandschaft die Läufer zu einem riesigen, vertrockneten Salzsee. Vorbei an den Kameloasen, die Chuck in bester Erinnerung behält, verläuft die Strecke auf direktem Weg nach Gaochang. Die Palastruinen der 2000 Jahre alten Oasenstadt Gaochang an der Seidenstraße zählen heute zum UNESCO Weltkulturerbe. Am Horizont hinter Gaochang leuchten bereits die Flammenden Berge, eine rote Sandsteinformation am Rande der Taklamakan. Das Ziel dieser Etappe und damit letzte Camp des Laufes befindet sich inmitten der Flammenden Berge. Wir verteilen bis spät in die Nacht Leuchtsticks auf der Strecke, die den Läufern auch bei Nacht den Weg weisen. Am nächsten Morgen markiere ich mit Chuck gemeinsam die letzten 10 km bis zum Ziel, bevor ich vor Ende des Laufes die Heimreise antrete. Zurück in Urumqi erfahre ich, dass in der Nacht ein Sandsturm mehrere Zelte im Lager einfach weggerissen hat – die Wüste ist einfach unberechenbar.
Thomas Bohne
Gobi March 2011
