Trail Running in Beijing

Die Luft vibriert am Rand der vierspurigen Straße, grün-gelbe Taxis rauschen hupend vorbei, dunkle Limousinen mit getönten Scheiben schwimmen majestätisch wie Raubfische im Blechstrom. Wanderarbeiter kehren den Dreck aus den Fugen der Gehwegplatten und die Mütterchen an den Garküchen schnippeln Gemüse neben dampfendem Hühnersud. Nur eine milchig-graue Silhouette bleibt von den Umrissen des nächsten Häuserblocks übrig – schwer liegt der Dunst. Zwischen Bäumen am Straßenrand krächzen Lautsprecher Volksmusik für grinsende Greise, die gleichmäßig im Takt Walzer tanzen. Abgase, Gosse und Frittenbude riecht man an einem typischen Morgen in den Straßen Pekings – kein guter Ort für einen Lauf. Ganz klar, Laufen ist in China kein Volkssport. Suchbegriffe wie “Laufen” und “Peking” führen zu Ergebnissen wie Husten, Atemmaske oder Verkehrsunfall. Durchreisende bevorzugen das Laufband im klimatisierten Fitnessstudio. Trail-Runner geben sich damit nicht zufrieden. Es gibt sie, die versteckten Pfade in der Stadt.



Ein flüchtiger Blick auf den Stadtplan verrät: Die Stadt ist riesig! Im Großraum Peking leben zwanzig Millionen Chinesen; das entspricht etwa einem Viertel der deutschen Bevölkerung. Die U-Bahn ist ein erstklassiges Transportmittel. 15 Linien befördern bis zu sechs Millionen Menschen täglich. Auch scheinbar überfüllte Zügen bieten immer noch einen Platz – im Zweifel schieben die Sicherheitskräfte von außen etwas nach. Umfallen kann dann keiner mehr. Linie 8 endet am Olympic Forest Park, einem frisch für die Olympischen Spiele angelegten Idyll nördlich vom Vogelnest, dem Olympiastadion. Im Südteil des Parks verstecken sich die Trails in einer Blumenpracht, während der nördliche Teil 176 verschiedene Baumarten beinhaltet. Wer einen Blick auf Chinas Top-Läufer erhaschen möchte, muss vor den ersten Sonnenstrahlen im Olympic Forest Park sein, denn die Läufer meiden die Sonne. Helle Haut gilt in China als Schönheitsideal.

Nach einem Lauf am frühen Morgen bietet bereits der Heimweg eine Vielzahl an kulinarischen Köstlichkeiten die leeren Glykogenspeicher zu füllen. In den Straßen Pekings warten mobile Pfannkuchen-Karren, Garküchen mit leichter Nudelsuppe oder Bäckereien verschiedener Kulturkreise mit taufrischem Werk der Nacht auf hungrig vorbeiströmende Passanten. Ob Kaffee zu Croissant oder leichter Grüntee zu warmem Eiertörtchen – jeder Geschmack wird bedient.

Michael Sjöholm verkörpert das Idealbild eines schwedischen Top-Läufers – blond, groß, athletisch gebaut, mit charmanten Sommersprossen im Gesicht. Michael trainiert mehrmals wöchentlich eine Laufgruppe in der Stadt. Meist läuft die Gruppe im Chaoyang Park, östlich vom Botschaftsviertel. Treffpunkt ist die kleine Hütte am Parkeingang. Der Wärter in der Hütte gewährt gegen eine Gebühr von 50 Cent Parkzutritt. Um gleich die Sorge vor explodierenden Kosten zu mildern, sei hier erwähnt: Die Monatskarte kostet 80 Cent. Im Park geht es dann querfeldein über Wiesen, Hügel und durch dichtes Buschwerk, vorbei an tanzenden Chinesen, Spaziergängern und hin und wieder auch an Hochzeitspaaren beim Fotoshooting. Ähnlich wie bei einem gut organisierten Marathonlauf sind Erfrischungsstände strategisch platziert und mit ausreichend Personal bestellt. Mobile Eistruhen sorgen im Sommer an jeder Ecke für kühle Getränke. Freilich kann es passieren, dass als Erfrischung eine Flasche mit Eisblock gereicht wird, die den Durst erst einige Kilometer später zu löschen vermag.

Etwas skurril wirkt der 20 km Trail neben dem Airport Expressway, der Autobahn zum internationalen Flughafen. Der Pfad windet sich grazil entlang des schmalen Grünstreifens zwischen Fahrbahn und Hochtrasse, vorbei am Künstlerbezirk 798 (Dashanzi), einem ehemaligen Rüstungsgelände, das in Kooperation zwischen China und der DDR entstand. Heute stellen Künstler Ihre Werke in den ausgedienten Fabrikhallen vor und dazwischen schlürft Pekings High-Society Cappuccino in italienischer Fassade. Ein Geheimtipp ist der Trail entlang des Kanals, südlich vom Kunstbezirk. Vorbei an einem Markt, durch einen Zaun hindurch, über Bahngleise, eröffnet sich unerwartet ein Labyrinth aus Feldern und Seen mit zahlreichen Trails.

Erst ein Lauf auf der Großen Mauer rückt die Leistung der damaligen Bauherren und Arbeiter in das richtige Licht. Über extrem steile Steintreppen führt sie von Gipfel zu Gipfel und liegt in der Landschaft wie eine Schlange im Gras. In den verfallenen Abschnitten schlängeln sich schmale Pfade durch dichten Bewuchs und hin und wieder bieten die unzähligen Wachtürme gigantische Ausblicke in das fremde Land. Dieses Paradies für Trail-Runner erfüllt damit heute einen anderen Zweck als den beim Bau angedachten und verläuft unweit von Peking. Schnellen Zugang zur Mauer bietet die Bahn-Linie S2 vom Nordbahnhof, allerdings wurde dieser Mauerabschnitt für Touristen aufbereitet, das bedeutet: Seilbahn, Asphalt, Souvenirstände. Wilde und anspruchsvolle Trails findet man in Mutianyu oder Simatai. Diese Abschnitte sind mit einem Taxi (50 €/Tag) oder mit einer Kombination aus öffentlichen Bussen und Sammeltaxi erreichbar. Die Busfahrt kann ebenfalls zum Abenteuer werden, denn Fahrpläne und Busanschriften sind in chinesischer Sprache und damit für die meisten Touristen mehr Kunstwerk als Informationsquelle. Selbstverständlich sind die Sitzplätze im Bus auch von Chinesen begehrt und ein Stehplatz im nichtklimatisierten Linienbus bei knapp vierzig Grad Celsius härtet zusätzlich ab.

A-Hotel
A-Hotel

Nach einem harten Training hilft die traditionelle Chinesische Medizin körperliche aber auch geistigen Blockaden zu lösen. Typische Chinesische Massagen werden mit Fingern, Faust, Ellenbogen und Knie durchgeführt und rund um die Uhr angeboten. Falls Feuer zum Einsatz kommt: Bitte nicht erschrecken! Haben sich die Schmerzen der Behandlung erst gelegt, tritt meistens eine Phase der Entspannung ein.

Eine ausgefallene Unterkunft für Läufer ist das A-Hotel, ein modernes Boutique Hotel in zentraler Lage. Gäste mit Zimmern im hinteren Bereich des Hotels erhalten beim Einchecken einen Gutschein für die Hotelbar mit dem Kommentar: “Your room is a little bit far”. Ein düsterer, fensterloser Korridor führt in einer langen Rechtskurve zu den Hotelzimmern. Weich wirkt jeder Schritt auf dem abstrakt gemusterten Teppich und golden leuchtet die reichlich verzierte Stofftapete an den Wänden. Die Zimmernummern an den Türen zählen behäbig aufwärts und allmählich wird klar: Der Gutschein hat durchaus seine Berechtigung. Das Hotel befindet sich im Arbeiterstadion und die Hotelzimmer sind entlang der Außenmauern verteilt, alle mit Fenster. Im Stadion wurde bereits Läufergeschichte geschrieben und findet während des Aufenthaltes ein Fußballspiel oder Konzert statt, ist man hautnah dabei.

Eine asiatische Großstadt pulsiert unaufhörlich, gleichmäßig wie der Herzschlag. Menschen sind allgegenwärtig, Orte der Stille und Entspannung verstecken sich hinter Mauern von Tempeln und Parks. Ein Paradies für Trail-Läufer sieht anders aus. Lässt man sich jedoch auf die ungewohnte Umgebung ein, öffnet die Augen und verweilt etwas, eröffnen sich Möglichkeiten, die vielleicht nur hier existieren.

Thomas Bohne

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