Ultra Trail du Mont Blanc 2k11

Der Ultra Trail du Mont-Blanc (UTMB) folgt einer Variante des Fernwanderweges Tour du Mont-Blanc, die das gesamte Mont-Blanc-Massiv umrundet. Die Strecke führt über zehn Pässe oberhalb von 2000 Metern und durch drei Länder: Frankreich, Italien und die Schweiz. Die Läufer tragen einen Rucksack mit Ausrüstung bei sich, die Verpflegungsstellen sind weit voneinander entfernt. Eine Mischung aus Distanz, Höhenprofil, Wegbeschaffenheit und unberechenbarem Wetter heben diesen Lauf in die Königsklasse der Bergläufe. Die Voraussetzungen zur Qualifikation für den Lauf sind hart, nur erfahrene Läufer nehmen daran teil, in diesem Jahr waren es 2300 Athleten aus 62 Ländern. Der UTMB ist ein Spiel, entweder man gewinnt es oder man verliert es. Das besondere daran ist: Die Mitspieler sind die besten der Welt, und jeder spielt dieses Spiel aus purer Leidenschaft.

In der Dunkelheit prasselt Regen auf den schwarzen Asphalt, bunte Lichter schwimmen in den Pfützen und es riecht nach Fichtennadeln im warmen Dunst des dicht gedrängten Läuferfeldes. Die Weltelite der Trail-Läufer hat sich auf dem Place Triangle de l’Amitie in Chamonix versammelt. Hinter der Absperrung drängen sich besorgte Blicke der Angehörigen, die ihre Regenschirme fürsorglich über die Köpfe ihrer Liebsten halten. In den letzten Sekunden vor dem Start ertönt die Vangelis-Hymne und eine Gänsehautstimmung durchzieht das Feld. Die Moderatoren brüllen aus vollem Hals und zählen laut abwärts: “Trois, Deux, Un”; dann bricht das Feld unter tosendem Applaus in ein Blitzlichtgewitter los.

Die neunte Ausgabe des UTMB startet aufgrund von Gewitterwarnungen erst um 23:30 Uhr. Im Vorfeld vermeldete die Homepage des Veranstalters stündlich neue Hiobsbotschaften: Stürme bis 80 km/h, schwere Regenfälle und Schneefall ab einer Höhe von 2000 Metern. Bereits vor dem Start hat sich die Organisation dazu entschlossen, die letzte Bergpassage zu umgehen und damit die Gesamtlänge auf 162 Kilometer verkürzt. Außerdem hat sie nach dem Rennabbruch im vergangenen Jahr die Pflichtausrüstung für jeden Teilnehmer aufgestockt. Tatsächlich steht jedoch selbst ein Läufer in bester Ausrüstung einem Schneesturm im Hochgebirge völlig hilflos gegenüber; so bleibt dieses mulmige Gefühl im Magen.

Auf den ersten Kilometern zeigt sich das Wetter gnädig, leichter Regen begleitet die Athleten auf dem Anstieg nach La Charme. Im darauffolgenden Abstieg lauern dagegen erste Bewährungsproben. Wild flackern die Kegel der Stirnlampen über den schlammigen Rinnen auf der steil abfallenden Skipiste. Geröll, Löcher und glitschige Wurzeln bilden im nächtlichen Regen einen Parcours der Extraklasse, der bis auf das Pflaster von St. Gervais reicht. Im weiteren Verlauf der Nacht verminen sturzbachartige Regengüsse den Trail mit knöcheltiefen Pfützen. Annähernd so leicht und grazil wie Vogelschwärme bewegen sich die Läufer über den schlammigen Trail und weichen dabei geschickt Hindernissen aus. Aber eben nur fast, denn regelmäßig schießt nach einem lauten “Platsch” die kalte Brühe in alle Richtungen und läuft anschließend langsam am Körper ab. Einige Profis werden an den Verpflegungsstellen von ihren Betreuern erwartet und tauschen die triefende Kleidung und Schuhe.

Gleißend hell erstrahlt die Kirche Notre Dame de la Gorge in der schwarzen Nacht. Wuchtige Bässe und kräftige Rockmusik treiben die Läufer, vorbei an lodernden Flammen eines Lagerfeuers, in den nächsten langen Anstieg. Kurz darauf ist kaum das leise Rascheln der Steine und das stetige Klacken der Stöcke hörbar. Der Himmel klart auf, in klirrender Kälte keuchen die dampfenden Läufer bergauf; der Atem vereist. Unter leuchtenden Sternen windet sich eine Lichterkette aus Stirnlampen durch die schneebedeckte Hochgebirgslandschaft – ein atemberaubender Anblick. Das Wasser in den Flaschen und Trinkblasen nähert sich jetzt dem Gefrierpunkt, Riegel und Gels werden hart und zäh. Eisplatten zieren hier die felsigen Stufen des Trails. Im Morgengrauen tauchen erste Sonnenstrahlen die steilen Gletscher des Mont-Blanc Massives in ein zartes Rot. Einzelne Läufer halten kurz inne und wischen sich die Tränen vom Gesicht – die Eindrücke sind überwältigend, sie mit den anderen Läufern zu teilen, verbindet; bisweilen entstehen daraus Freundschaften fürs Leben.

Während im Tagesverlauf die Temperaturen in den Tälern stetig klettern, bläst in den Höhenlagen ein eiskalter Wind. Zeitgleich mit den ersten Schneeflocken erreicht ein Hubschrauber den nächsten Pass und legt behutsam neben dem Kontrollposten eine gläserne Schutzhütte ab. Heftige Unwetter blockieren den Weg nach Bovine, so verändert die Organisation die Strecke erneut. Die Gesamtdistanz verlängert sich damit auf 170 Kilometer, der Anstieg summiert sich auf 9741 Höhenmeter. Die Teilnehmer erhalten die Information als Nachricht auf ihr Mobiltelefon, aber nicht jeder liest im Wettkampf Textnachrichten.

Die letzten Kilometer fordern starke Willenskraft. Gelenke und Muskelfasern sind mittlerweile gereizt und jeder einzelne Schritt schmerzt. Besonders steile Abstiege fordern fortwährend höchste Konzentration. Die Sonne entzieht dem Körper in kurzer Zeit viel Wasser, und nur wer die Signale rechtzeitig erkennt, kann entsprechend reagieren. Versagt der Magen, ist der Lauf beendet. An den Verpflegungsstellen spielen sich herzzerreißende Dramen ab; der UTMB verzeiht einfach keine Fehler. Wer es bis nach Chamonix schafft, wird rund um die Uhr von einer jubelnden Zuschauermenge erwartet.

“Der Zieleinlauf war wie ein Rockkonzert und Kilian der Superstar”, kommentiert eine Zuschauerin die Stimmung in Chamonix beim Einlauf des Siegers Kilian Jornet. Die ersten drei Läufer überschreiten die Ziellinie in kurzen Abständen am Samstag Abend. Dass der Viertplatzierte das Ziel erst zwei Stunden nach dem Drittplatzierten erreicht, ist bezeichnend für die Klasse der Top-Läufer. Lizzy Hawker gewinnt abermals die Frauenwertung nach 25 Stunden Gesamtzeit, kurz hinter dem besten Deutschen Läufer, Matthias Dippacher. Weniger als die Hälfte der Starter erreicht das Ziel in Chamonix innerhalb der vorgegebenen 46 Stunden.

Ernten Athleten andernorts für derlei Anstrengung ein gleichgültiges Lächeln, bringt man ihnen in der Mont-Blanc-Region Respekt und Anerkennung entgegen. In den Schaufenstern der Läden verstecken sich Startnummern vergangener UTMB-Veranstaltungen, und mitunter trägt der Inhaber selbst eine alte Finisher-Weste. Der UTMB unterscheidet sich deutlich von vielen Großveranstaltungen, die von kommerziellen Interessen bestimmt sind. Auf Geldpreise wird bewusst verzichtet, und der logistische Aufwand rechtfertigt die 150 Euro Startgebühr allemal. Respekt vor Umwelt und Gleichheit für alle Teilnehmer sind die höchsten Maßgaben dieser Veranstaltung. Die Leidenschaft und der Pioniergeist der Freunde, die diesen Lauf im Jahr 2003 gegründet haben, ist nach wie vor spürbar.

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