Vom Pleisensigi

Sigi Gaugg © Judy Ng


Wenn du als Läufer in die Pleisenhütte im Karwendel kommst, fühlt sich das zunächst an wie in einer gewöhnlichen Berghütte: Du öffnest die schwere Holztür zum Gastraum, trittst in die warme Stube ein und plötzlich verstummt das Hintergrundmurmeln der Gäste, die hinter ihren Biergläsern hocken; fragende Blicke durchbohren dich und sie tuscheln leise: “Schau mal, wie der angezogen ist. Bei der Kälte da draußen trägt der kurze Hosen. Und die Schuhe erst!” So ergeht es mir sehr oft, wenn ich durch die Berge laufe. Als das Profil meiner Trailschuhe die Holzdielen des Gastraumes der Pleisenhütte berühren, steht sofort der Hüttenwirt Sigi mit einem Lächeln vor mir und begrüßt mich und meine Begleitung mit den Worten: “Servus Burschen, ihr seht aber sportlich aus. Wie lange habt ihr für den Aufstieg zur Hütte gebraucht?”

Pleisenhütte © Thomas Bohne

Sigi Gaugg ist seit 1992 Hüttenwirt auf der Pleisenhütte und läuft selbst gern auf den heimischen Trails durch das Karwendel. Dieses Jahr hatte er sich zum Salomon Zugspitz Ultratrail angemeldet. “Ich wollte mich mal richtig auspowern”, sagt er. “Außerdem ist es ganz praktisch, wenn du die Verpflegung auf einer so langen Strecke nicht mitnehmen musst, du bist dann viel leichter”. Als Hüttenwirt bleibt ihm für sein Training allerdings nicht viel Zeit, denn besonders an schönen Tagen besuchen viele Wanderer und Mountainbiker die Pleisenhütte im Karwendel. Den Großteil der Trainingszeit verbringt er deshalb auf Tourenskiern im Winter. Im Sommer kann er die Hütte mit seinem Geländewagen beliefern, doch im Winter muss er alle Nahrungsmittel aus eigener Kraft auf die 1757m hoch gelegene Hütte befördern. Dazu schnappt er sich mehrmals pro Woche eine großen Rucksack, schnallt seine Skier unter die Stiefel und geht bei Wind und Wetter hinauf zur Hütte.

Pleisenhütte 3

Eine unglaubliche Anstrengung hatte bereits sein Vater Toni Gaugg auf sich genommen als er die Hütte errichtete. Während seiner fünfjährigen Kriegsgefangenschaft in Russland schwor er sich, eine Hütte auf seinem Lieblingsberg – dem Pleisen – zu bauen, sollte er den Zweiten Weltkrieg und die Gefangenschaft überleben. Im Jahre 1953 erhielt er die Genehmigung zum Bau, jedoch glaubte niemand ernsthaft daran, dass er diesen Bau fertigstellen könnte. Damals gab es noch keine Forststraße, somit er trug alle Baumaterialien, die er nicht auf dem Berg fand, aus eigener Kraft hinauf zum Bauplatz der Hütte. Noch im selben Jahr verwirklichte er sich seinen Traum. Heute bewirtschaftet sein Sohn Sigi die Hütte und führt diese ganz im Stile seines Vaters.

Toni-Gaugg-Weg © Thomas Bohne

Für die 6.5 Kilometer lange Strecke vom Parkplatz in Scharnitz bis zur Pleisenhütte benötigt ein Trail Runner eine reichliche Stunde. Der Aufstieg ist also auch noch nach dem Feierabend möglich. Die Hütte bietet 39 Lagerplätze, gute lokale Küche und urige Stimmung bei Kerzenschein. Besonders zu empfehlen ist der Haselnussschnaps. Von der Hütte kann man die Pleisenspitze auf 2569m über einen leichten Wanderweg erreichen. Besonders erfahrene und alpin versierte Trail Runner können über den Toni-Gaugg-Weg zum Karwendelhaus steigen und dann über die Forststraße zurück zum Parkplatz in Scharnitz laufen. Diese Tour wurde bereits vor 25 Jahren von einheimischen Läufern zurückgelegt und zeigt, dass technisch anspruchsvolles Trail Running keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist.


© OpenStreetMap contributors

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