Lebensläufer – was uns antreibt

Es gibt Menschen, die heben Gewichte, um sie kurze Zeit später wieder fallen zu lassen. Andere stoßen Bälle in Tore und holen sie kurze Zeit später wieder heraus. Ich laufe für mein Leben gern auf Trails — besonders dann, wenn mir der Regen ins Gesicht peitscht, der Wind um die Ohren pfeift und meine Wangen rot glühen. Was treibt uns Menschen zu diesem unlogischen Verhalten? Warum gehen Läufer auch bei schlechtem Wetter vor die Tür, während andere es vorziehen den Fernseher einzuschalten und die Couch zu belasten?

Jeder Marathonläufer kennt diese Frage: Warum läufst du eigentlich? Die Antworten auf diese Frage sind so vielfältig wie die Läufer, die Marathons laufen. Die Quote derer, die bei dieser Antwort in Verlegenheit geraten, da sie die Startnummer quasi am Stammtisch bei eine Wette erworben haben, ist dabei erstaunlich hoch. Dieses Starterklientel ist mir persönlich deutlich lieber als das gehobene Management, bei dem es zum guten Ton gehört, einen Marathon gefinisht zu haben. Top-Läufer wie Kilian Jornet laufen um zu siegen — sie wollen mit aller Macht dieses Banner im Ziel als Erster mit ihrer Brust zerreißen, koste es was es wolle. Bloß was treibt die tausend Starter im Feld hinter ihnen an? Ihr Kampf ist ein anderer: Schaffe ich es oder schaffe ich es nicht? Bin ich schneller als meine geplante Zielzeit oder langsamer? Der David gegen Goliath Effekt treibt uns Menschen seit jeher zu Spitzenleistungen. Die Freude über den Erfolg ist dabei umso größer je schwerer die gestellte Aufgabe ist. So erscheint es plausibel, dass der Zieleinlauf beim Münchner Stadtlauf nie derart mit emotionalen Szenen beladen sein wird wie der Zieleinlauf des RacingThePlanet Gobi Marches. Saisonziele sind demnach eine gute Grundlage für zeitlich begrenzte Motivation.

UTMB Ziel TNF © Thomas Bohne

Vorübergehende Motivationsschübe werden außerdem in Form von Peitschenhieben durch den Lauftrainer, die mahnenden Blicke der Ehefrau oder das blinkende Display der Körperwaage verabreicht. Kennst du das Gefühl, auf der Couch zu sitzen und die Gipfelbilder der vermeintlichen Freunde auf Facebook vorbeirauschen zu sehen? Gleichermaßen vergänglich sind Trainingspläne, die du in Laufzeitschriften oder Büchern findest, da sie nicht auf dich, allenfalls auf den Autor des Trainingsplanes zugeschnitten sind und schnell in Vergessenheit geraten. Belohnungen, Drohungen, Gruppendynamik oder Gesundheitsbewusstsein — keine dieser extrinsischen Motivationsquellen ist auf Dauer Erfolg versprechend.

Wenn ich als Ultra-Läufer durch die Berge laufe, dabei meinen Körper beobachte, wie er sich auf den langen Distanzen verhält und genau diesen Moment genieße, dann bin ich auf dem richtigen Weg. Ich spiele in technischen Abschnitten mit dem Untergrund, atme die duftgeschwängerte Luft des Waldes und spüre den Schweiß auf der Haut. Ich laufe, weil ich es will und ich bestimme mein Tempo selbst! Meine Antwort auf die Frage “Warum läufst du?” lautet: “Weil es mir Spaß macht.” Ich genieße jede Minute in der Natur und ich sauge ihre Launen auf wie ein trockener Schwamm einen Schluck Wasser.

Pfunderer Höhenweg
Pfunderer Höhenweg

Sicher kennst du diesen Moment nach einem anstrengenden Tag auf der Arbeit: Die Beine sind schwer, der Kopf brummt und spürst bereits beim Blick aus dem Fenster eine Gänsehaut am ganzen Körper. In dieser Situation ist die beste Motivation dein Laufpartner, der an die Tür klopft und dich abholt. Ist das diesmal nicht der Fall, müssen andere extrinsische Motivationshilfen herhalten. Entweder wartet die neue Laufbekleidung im Schrank auf einen Testlauf, die Pulsuhr mahnt piepsend vor Trainingsdefiziten oder die Berichte der Cyberfreunde im sozialen Netzwerk locken verführerisch nach draußen.

Grundsätzlich ist es nicht falsch, wenn Ziele, Erfolg oder große Herausforderungen zu deiner Motivation beitragen. Spitzenleistungen sind jedoch nur in seltenen Fällen ausschließlich über extrinsische Faktoren erreichbar, sondern oft durch großes inneres Streben begründet. Der von Dieter Baumann beschriebene Lebensläufer, erreicht seine Endausprägung erst, wenn er frei von Zielen läuft und seine innere Haltung angepasst hat (D. Baumann, Laufende Gedanken, Klöpfer & Mayer, 2009). Er läuft, weil das Laufen ein Bestandteil seines Lebens geworden ist – bis dahin ist es allerdings ein langer Weg.

Wie entwickelst du dich vom Laufanfänger zum Läufer und vielleicht sogar zum Lebensläufer? Zahlreiche Strategien, angefangen bei Zielvorgaben, Partnersuche über Belohnungen und Rituale, werden alljährlich in den Laufzeitschriften angepriesen und erweisen sich als äußerst kreativ, jedoch völlig sinnfrei (Achim Achilles, Sportmotivation: Wecke den Bock!). Da bekanntlich selbst der längste Weg mit dem ersten Schritt beginnt, empfehle ich hartnäckig: Lauf einfach los!

6 Comments

  1. Hallo Thomas,

    ich hab mit Begeisterung deinen Text gelesen. Und ich muss sagen ich finde mich in Ihm wieder. Ich betreibe Triathlon und da vor allem die Langdistanz. Bei den Wettkämpfen finde ich es immer wieder spannend wie man mit sich selbst im Zwiegespräch ist und sich nach vorne peitscht. Mir geht es auch vor allem darum zu sehen was kann ich denn leisten, also vergleiche ich mich weniger mit anderen sondern Ziel ist es im Ziel zufrieden mit mir zu sein und zu erkennen wie ich es geschafft habe Hürden im Wettkampf zu überwinden.
    Das alles ist dann auch Motivation die alltäglichen Hindernisse zu bezwingen.

    Wie schaffst du es dich auch deinen Ultra-Läufen zu fokussieren und den Punkt, der bestimmt kommt, zu überwinden an dem du eigentlich aufhören möchtest?

    Und nicht vergessen immer mit nem Lächeln ins Ziel
    Andi

    1. Servus Andi,

      wie du richtig anmerkst, fühlt sich bei den Ultras jeder Läufer früher oder später dreckig — hier gibt es Ähnlichkeiten zum Triathlon. Um in diesem Moment weiterzulaufen, gibt es unterschiedlichste Strategien: Einige übergeben sich und fühlen sich anschließend wieder wohl, andere drehen den iPod voll auf und wieder andere beißen einfach die Zähne zusammen. Ich gehöre zur letzteren Fraktion. Zwischendurch fokussiere ich mich auf Teilziele wie zum Beispiel den nächsten Checkpoint oder den nächsten Pass aber niemals auf so abstrakte Maße wie: die Hälfte der Strecke. Wichtig ist, dass du deinen Körper kennst und merkst, wenn er tatsächlich ein ernstes Problem hat. Dann solltest du reagieren.

      1. Servus Thomas,
        auch ne Strategie sich zu übergeben. Glaub aber das ist nix für mich. So wie ich das sehe, machst du das ähnlich wie ich auf Teilziele konzentrieren. Dann ist das grosse Ganze nicht so übermächtig.
        Mich würde eigentlich auch mal ein Ultralauf interessieren. Ich bin aber nicht so der große Bergläufer. Kannst du nen coolen Ultralauf empfehlen den man mal gemacht haben muss, auch wenn man nicht unbedingt der Bergläufer ist?
        Viele Grüße
        Andi

      2. Hallo Andi,

        das ist nicht so einfach, denn ich laufe fast ausschließlich in den Bergen. Als Einstieg diente bei mir der Rennsteiglauf – ein schneller, leichter und historischer Ultra mit thüringer Charme. Bei den Etappenläufen steht natürlich der MdS ganz weit oben auf der Hit-Liste. Alternativ kannst du dir vielleicht auch ein Projekt schnappen, das keinen Renncharakter hat. Schau mal auf die Seite von Julia Böttger, da gibt es ein paar Anregungen:

        http://trailschnittchen.jimdo.com/trailrunning/trailstrecken/

        Grüße

        Thomas

  2. Sehr schön beschrieben
    und irgendwann kommt die Zeit
    dann bedarf es keiner Motivation mehr
    dann brauchst du das Laufen
    dann bist du Lebensläufer
    dazu zähle ich mich
    aber bis dahin war es ein langer Weg !

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