Island Peak – Expeditionstagebuch

Tag 1 — Landung auf dem gefährlichsten Flughafen der Welt

Der Tenzing-Hillary-Airport in Lukla ist der Ausgangspunkt unserer Expedition. Nach etwa einer halben Stunde Flug von Kathmandu taucht vor uns die sehr knapp bemessene Landebahn des Flughafens auf — ich sitze direkt hinter dem Piloten — und hoffe, dass unser Flugzeug die Piste richtig erwischt. Die 527 Meter lange Landebahn kann aufgrund ihrer 12 Grad Hangneigung nur von einer Seite angeflogen werden und bricht am unteren Ende abrupt in eine 600 Meter tiefe Schlucht ab. Die Flugzeuge rollen nach der Landung bergauf, startende Flugzeuge rollen bergab. Mit Schwung setzen wir auf, der Pilot tritt sofort kräftig auf die Bremsen, mein Oberkörper wird gegen den Gurt gepresst und schon biegen wir rechts auf den kleinen Parkplatz ab. Eigentlich müsste man nach dieser Landung klatschen, denke ich. Da höre ich auch schon den ersten Applaus hinter mir und stimme mit ein. Das war in der Tat eine solide Landung. Noch während die Rotoren laufen, steigen wir aus und überlassen unsere noch warmen Polster den Passagieren für den Rückflug. Scheinbar ist den Piloten viel daran gelegen, den Flugplatz vor der nächsten Wolke wieder zu verlassen.

Landeanflug Tensing Hillary Airport Lukla

Wir sind am Ausgangsort angekommen. Lukla ist ein kleines Bergdorf und nur zu Fuß oder per Lufttransport zu erreichen, Straßen gibt es hier keine. Mit Karma Sherpa werde ich zwei Wochen in der Khumbu-Region verbringen, das ist die Region um den Everest auf der nepalesischen Seite. Wir möchten gemeinsam den Island Peak besteigen, ein sehr schöner Sechstausender, der direkt neben Lhotse und Everest wie eine Insel in einem See aus Eis aufragt. “Nur wenn das Wetter und die Akklimatisation erfolgreich verlaufen”, habe ich ihm am Telefon gesagt. “Falls nicht, wandern wir und verbringen eine gute Zeit zusammen.” Zusätzlich haben wir einen Träger angeheuert, der einen Teil unserer Ausrüstung von Nachtlager zu Nachtlager trägt, damit wir mit etwas leichterem Gepäck zusätzliche Wanderungen unternehmen können — eine Mini-Expedition. Immer wieder begegnen uns Touristen, die ihr Gepäck selbst tragen und damit den Trägern ihre Lebensgrundlage entziehen.

Lukla Airport

Zusätzlich lerne ich den 73-jährigen Faroukh kennen, der uns an einigen Tagen begleiten wird. Faroukh ist ein indischer Geschäftsmann mit großer Liebe zur Natur und insbesondere zu Nepal. Es ist sein 16. Besuch in Nepal und er fotografiert leidenschaftlich gern. Faroukh ist groß und schlaksig gebaut, besitzt ein ruhiges Gemüt und wir verstehen uns auf Anhieb. Bereits am Vorabend haben wir uns bei einem Glas Whiskey kennengelernt. Für diesen Besuch hat er sich den Aussichtspunkt Kalapathar und Gokyo-Ri vorgenommen. Beides Orte, die eine kräftezehrende Drei-Wochen-Wanderung weit über 5000 Meter über Meeresspiegel erfordern und etwas abseits des Standard-Touristenpfades liegen.

Dzo — eine Kreuzung zwischen Hausrind und Yak — sind unsere ständigen Begleiter der ersten Tage

Kurz nach unserer Ankunft machen wir uns auf den Weg. Auf den ersten Metern fühle ich mich wie ein Kind, das vor einem leuchtenden Weihnachtsbaum steht und ich sauge jeden Moment auf wie ein Schwamm. Wir treten in die Spuren der ganz großen Bergsteiger, die hier wie wir durch den tiefen Staub aus Esel und Kuhdung gewatet sind. Schnell ziehe ich mir ein Tuch über die Nase, denn den Kumbhu-Cough – ein Husten, der bei Wanderern in dieser Region häufig auftritt – möchte ich jetzt um jeden Preis vermeiden. Bereits nach wenigen Kilometern schlagen wir unser Nachtlager in einer Lodge in Phakding auf.

Tag 2 — Ins Zentrum der Sherpas

Die erste Nacht auf 2600 Metern war vergleichsweise angenehm bis mir um 6 Uhr weiße Rauchschwaden in die Nase steigen und mich aus dem Bett katapultieren. Mit etwas panischem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass unsere Gastgeber hier feuchte Wacholderzweige in einem kleinen Schrein verbrennen und der Rauch direkt durch mein geöffnetes Fenster in meine Nase zieht. Es ist eiskalt in meinem Zimmer, das Bad hat kein Fenster und die Wände schimmern feucht vom Kondenswasser der Wäsche des Vorabends. Ich stopfe meinen Schlafsack und trete in den Innenhof zum Schrein, wo mir der Wacholderduft erneut in die Nase steigt. Der Geruch ist angenehm und noch viel angenehmer ist die Wärme des Feuers, denn die Lodge erwacht erst allmählich zum Leben. Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen unsere Lodge erreichen leuchten die weißen Berggipfel goldgelb in der Morgensonne. Wenn es auf dieser Höhe bereits so frisch ist, kann das auf 6000 Metern ja heiter werden, denke ich mir.

Namche Bazar

Etwas später stapfen wir erneut im Staub der Esel über zahlreiche Hängebrücken weiter in Richtung Namche Bazar, dem Zentrum der Sherpas. Namche liegt auf 3440 Metern über dem Meeresspiegel und ist der zentrale Handelsplatz der Region. Hier herrscht buntes Treiben, es gibt deutsche Bäckereien mit italienischem Espresso, Bergsportgeschäfte, die eine komplette Everest-Expedition ausstatten könnten und die letzten Geldautomaten im Tal. Gleich am Ortseingang links hocken einheimische Frauen auf Betonstufen und waschen ihre Wäsche mit dem Wasser des kleinen Baches, der durch Namche läuft. Das ist vielleicht die letzte Gelegenheit zur Wäsche, daher lasse ich mir diese nicht entgehen, schnappe mir mein getragenes T-Shirt, ein Stück Seife und geselle mich zu den Wäscherinnen. Das Wasser ist so kalt, dass meine Hände nach wenigen Sekunden schmerzen. Mit schlechtem Gewissen betrachte ich das dunkle Wasser der untersten Stufe und entscheide mich dann, das leicht verschwitzte-Merino-Shirt auf der mittleren Stufe einzuseifen. Vorsichtig schrubbe ich mein T-Shirt und spüle dann auf der obersten Stufe mit klarem Wasser nach. Die kalte und trockene Bergluft tut dann ihr Übriges und nach zwei Stunden ist mein T-Shirt trocken.

Die Gassen von Namche Bazar am Abend

Am Abend Faroukh erzählt mir Faroukh von seinem Besuch im Everest-View-Hotel: “Vor vielen Jahren habe ich mit meiner Frau das Hotel besucht. Wir sind direkt bis zum Hotel geflogen, denn das Hotel hat eine eigene Landebahn. Das Luxushotel war hochmodern und es fehlte an nichts. Die Suiten hatten Blick auf den Everest und sogar die Bettdecken waren beheizt. Man konnte gern zwei oder drei Tage im Hotel verbringen und nichts weiter tun, außer sich am Anblick des Everest zu ergötzen.” Das macht mich neugierig und ich beschließe diesem Hotel einen Besuch abzustatten.

Frühstück mit Everest-Blick auf der Terrasse des Everest-View-Hotel

Tag 3 — Kloster Tengboche

Gesagt getan, am nächsten Morgen steige ich mit dem Sherpa Pemba zum Everest-View-Hotel auf. Den Weg teilen wir uns mit jungen Mädchen auf ihrem Weg zur Schule. Mehr als eine Stunde legen sie täglich morgens und abends zurück und steigen dabei jeweils steil bergauf und bergab. Das Hotel liegt etwas oberhalb von Namche auf einem Bergrücken auf 3880 Metern. Die Landebahn ist nicht mehr als eine breite Schotterpiste etwa 10 Minuten unterhalb und mittlerweile gibt es auch einen Hubschrauberlandeplatz. Vor dem Betreten steigt man eine lange Treppe hinauf, die an den Zugang eines Palastes erinnert. Das Hotel versprüht mittlerweile vielmehr den Charme eines verlassenen Palastes, auch die Angestellten erwecken den Anschein von Wächtern anstatt Hotelpersonal. Natürlich lassen wir uns eine Tasse des exklusiven Sherpa-Kaffees auf der Sonnenterrasse nicht entgehen, bevor wir unsere Tagesetappe fortsetzen.

Kloster Tengboche

Ein paar Stunden später stehe ich in Tengboche vor dem bedeutendsten buddhistischen Kloster der Region. Es ist kalt, der Wind pfeift und die Sonne brennt. Außer Wacholdersträuchern und Rhododendronbüschen macht die Vegetation einen eher spärlichen Eindruck. Das Kloster liegt auf knapp 3900 Metern und wurde nach einer Serie der Zerstörung durch Brand und Erdbeben neu aufgebaut. Wenige hundert Meter vom Kloster entfernt wurde Ueli Steck beigesetzt. Ein junger Mönch führt mich zum Grab und ich verweile ein paar Minuten. Tengboche ist wunderschön und bietet einen Panoramablick auf die umliegenden Berge. Heute sind die Gasthäuser um das Kloster gut gefüllt und in der kleinen Bäckerei gibt es sogar Schokokuchen. Es ist schwer vorstellbar, wie sich die Menschen in dieser Gegend vor der Schokokuchen-Zeit ernährt haben.

Auf dem Weg zur Lodge bewaffne ich mich mit einem Stück Schokokuchen, schwatze unterwegs mit einem Sherpa und da passiert es auch schon: Völlig unkonzentriert trete ich etwa 50 Meter vor der Lodge auf einen Stein und mein Fußgelenk knickt um. Mit schmerzverzerrten Gesicht halte ich den Fuß unter das eiskalte Wasser im Hof der Lodge, bandagiere das Gelenk und lege es hoch. Nach kurzer Zeit spüre ich, dass die Verletzung ernster ist als angenommen, entscheide mich jedoch gegen einen Abbruch der Tour. Die nächsten Tage werde ich in den Bergstiefeln gehen müssen, um das Gelenk wenigstens etwas zu schonen.

Tag 4 und 5 — Dingboche

Der nächste Morgen beginnt etwas holprig mit dem Gang zur Toilette. Von einer Toilettenspülung habe ich mich bereits vor dem Abflug nach Lukla verabschiedet, doch heute morgen war sogar das Wasserfass auf der Toilette gefroren und der Schöpfbecher steckte im Eis. Das Zähneputzen verschiebe ich besser um ein paar Stunden und setze mich vor den Ofen in der Lodge. Der Weg nach Dingboche führt zunächst leicht bergan durch das Tal. Unter uns rauscht ein wilder Fluss und rechts über uns öffnet sich der Gipfel des Ama Dablam — das Matterhorn Nepals. Die Ama Dablam ist ein besonders formschöner und technisch anspruchsvoller Sechstausender. Derzeit befinden sich einige Gruppen im Basislager und wollen den Berg besteigen. Unser Tagesziel Dingboche liegt auf 4400 Metern und wir erreichen den kleinen Ort gegen Mittag. Was vor Jahren nur eine kleine Siedlung war, ist mittlerweile zum einem Dorf aus Lodges angewachsen. Die Bauern pflanzen auf dem trockenen Boden Kartoffeln an, die sie einmal im Jahr ernten können. Darüber hinaus wächst hier nicht viel. Wir übernachten in einer kleinen und familiären Lodge.

Das Badezimmer wurde kurzerhand nach außen verlagert

Hinter dem Haus liegt ein schwarzer Schlauch im Garten, der als Wasserleitung dient. Als das Eis im Schlauch hinter dem Haus aufgetaut ist, wasche ich etwas Wäsche, die kurz darauf auf der Leine bretthart gefriert. Der Ofen Gastraum wird mit Yakdung befeuert und wärmt jeden Abend zuverlässig. Die Wärme reicht jedoch nur für die Frontseite, deshalb sitzen alle im Gastraum in Dauenjacke um den Ofen. Trotz Saisonende sind die anderen Lodges noch so gut besucht, dass die Sherpas dort in die zweite Reihe hinter dem Ofen weichen müssen. Das führt dazu, dass sie sich die Sherpas der umliegenden Lodges zu uns gesellen und ich mit dem Inder die einzigen Ausländer im Raum sind. Unsere Schlafzimmer sind so kalt, dass die Feuchtigkeit meines Atems eine Eisschicht auf meinem Schlafsack hinterlässt.

Am Folgetag steht der nächste Schritt der Akklimatisierung bevor: die Wanderung auf den Nangkar Tshang auf knappe 5200 Meter. Im Vergleich zu den Achttausendern am Talende wirken die Fünftausender hier wie die kümmerlichen Endmoränen einer Eiszeit und doch sind sie höher als der Mont-Blanc. Nach dem Frühstück steige ich mit Pemba auf. Wir gehen sehr langsam und nach ca. einer halben Stunde wärmen uns die ersten Sonnenstrahlen, die hinter dem Ama Dablam hervortreten.

Ama Dablam im Morgenlicht

Beim Blick ins Tal erkennen wir, dass uns die Heerscharen der geführten Touren bereits auf den Fersen sind. Hauser und World Expeditions haben ebenfalls einen Zwischenstopp zur Akklimatisation in Dingboche eingelegt. Die meisten dieser organisierten Gruppen wandern zum Basislager des Everest. Trotz Saisonende begegneten uns erstaunlich viele Wandergruppen auf den Wegen, doch von nun an sollte es für uns ruhiger werden, denn wir zweigen von der Hauptverkehrsader ab und marschieren in Richtung Island Peak.

Blick vom Gipfel des Nangkar Tshang

Am Abend sitzen wir gemeinsam am Ofen und sprechen den Plan für die nächsten Tage durch. Während Pemba mit Faroukh nach Kala Patthar wandert, gehe ich mit Karma Sherpa nach Chukhung auf 4730 Meter. Dort akklimatisieren wir weiter am 5546 Meter hohen Chukhung Ri und besteigen anschließend den Island Peak.

Tag 6 — Besteigung Chukhung Ri

Am Morgen brechen wir auf nach Chukhung und durchqueren eine Steppenlandschaft mit kleinen halb gefrorenen Bächen, die sich ihren Weg durch Wacholdersträuche bahnen. Der Boden ist hart und staubig. Chukhung ist die erste Siedlung auf unserem Weg, die nicht ganzjährig bewohnt ist und hauptsächlich zur Beherbergung von Wanderern und Bergsteigern errichtet wurde. Der Lodge-Manager gibt mir das beste Zimmer, wie er sagt: “Das Zimmer hat noch sechs Stunden Sonne.”

Auf dem Weg auf den Chukhung Ri

Wir pausieren kurz in der Lodge und brechen wenig später auf zum Chukhung Ri. Die letzten Meter vor dem Gipfel spüre ich den geringen Sauerstoffgehalt deutlich und muss mich bei jedem Tritt konzentrieren. Der Grat ist nicht schwer, doch das Gelände ist steil und der Wind pfeift uns um die Ohren. Am Gipfel werden wir mit einem gigantischen Panorama belohnt und blicken erwartungsvoll hinüber zum Gipfel des Island Peak, der nahezu auf gleicher Höhe zu liegen scheint.

Panorama vom Gipfel des Chukhung Ri.

Am Abend werde ich für die zu schnelle Akklimatisierung bestraft. Kopfschmerzen, Fieber und ein schmerzendes Fußgelenk rauben mir den Schlaf. Auch eine Portion Sherpa-Eintopf können mich heute nicht aufmuntern und ich liege bereits kurz nach Sonnenuntergang in meinem erstklassigen Zimmer, das mittlerweile einer Eiskammer gleicht. Dass sich vor dem Zimmer der Haushund platziert hat, merke ich leider erst, als ich ihm auf den Schwanz trete und er jaulend aufspringt. Ich vertraue besser nicht mehr auf meine Nachtsicht-Fähigkeiten und nutze brav meine Stirnlampe. Der Hund dankt’s mir.

Tag 7 — Der lange Marsch ins Basislager

Der Weg ins Basislager wird für mich länger und länger. Ein schmerzender Kopf und Fuß lassen den Gipfel an diesem Tag in weite Ferne rücken. Wie soll ich auf über 6000 Meter steigen, wenn ich mit 5100 bereits Problem habe, denke ich. Karma meint dazu: “Thomas, wir gehen jetzt ins Basislager, dort trinkst du einen Tee und dann sehen wir weiter”. Etwa zwei Stunden später liege ich in einem dieser gelben Expeditionszelte, röchele vor mich hin und esse dazu ein Schinken-Käse-Sandwich und Gemüsereis. Die Sherpas bemühen sich um mich.

Island Peak Basislager bei Nacht
Island Peak Basislager

Außer den Sherpas bin ich der einzige Bergsteiger im Camp auf 5100 Metern. Ich genieße die ruhige Atmosphäre, fotografiere die gewaltige Eislandschaft und ruhe mich aus. Das Abendessen gibt es dann für alle gemeinsam im Küchenzelt und ich muss nicht schlecht staunen, als mir der Küchenchef Popcorn und eine Thunfisch-Pizza serviert. Zum Dank verteile ich frische Wachteleier aus Hong Kong an die Jungs. Das sorgt für große Augen und ausgelassene Stimmung.

Nur eine Moräne trennt den Imja-See vom Basislager.

Tag 8 — Besteigung des Island Peak

Um ein Uhr nachts stehen wir auf, wecken muss uns hier eh keiner, denn so richtig schlafen kann ich in dieser Höhe derzeit nicht. Nach etwas Haferschleim und Tee starten wir unseren Aufstieg. Während ich einen Not-Toilettenhalt einlege, überholt uns eine Gruppe. Das gibt’s doch nicht, denke ich, noch vor dem Start an Position zwei. Da sich jedoch einer der anderen Bergsteiger kurze Zeit später übergibt, sind wir wieder in Führungsposition.

Karma stapft vor mir und ich hinterher. Wir reden kaum ein Wort, ich kontrolliere permanent meinen Körperzustand. “Bisher alles top” rufe ich Karma zu, als wir bereits einige Stunden unterwegs sind. “Keine Kopfschmerzen”. Der Weg ist zunächst leicht, das Gelände wird jedoch steiler und der Wind bläst. Es ist saukalt und als wir das erste Eis erreichen warten wir eine Weile. “Wir sind schnell”, sagt Karma. Nachdem wir unsere Steigeisen angelegt haben, nimmt er mich ans Seil. Über steiles Eis geht es auf und ab, die ersten Fixseile tauchen auf, es sind dünne Perlonschnüre, wie man sie im Baumarkt findet. Ich bemühe mich, sie nicht zu benutzen. Wer weiß, wie die befestigt sind, denke ich.

T-Shirt, Pullover, Daunenveste, Primaloft-Jacke, dicke Daunenjacke und trotzdem ist es frisch hier oben

Wenig später blicke ich in eine Gletscherspalte. Die ist in etwa so tief, dass man den Sturz nicht überlebt. Darüber liegt eine Leiter, besser noch: es sind drei Leitern. Die Leitern sind mit Stricken zusammengebunden und biegen sich in der Mitte durch. Daneben liegen zwei lockere Schnüre und der Wind pfeift. Beim Anblick muss ich lachen und: “Das ist jetzt nicht dein Ernst.” Karma nimmt inzwischen das Seil auf.

“Da balancieren wir jetzt drüber”, meint Karma. Ich entgegne: “Balancieren da alle drüber? Müssen wir hier auch wieder zurück?” Im Kopf male ich mir aus, wie ich erst in einen der Stricke falle, dann gegen eine der Eiswände scheppere und der Strick dann reißt. “Du ziehst die Stricke straff und setzt die Frontzacken auf die vordere Sprosse und die hinteren Zacken deiner Steigeisen auf die hintere Sprosse.” Logisch, und wenn ein Windstoß kommt, flattere ich einfach mit den Armen und schwebe davon, denke ich.

Die Leiterkonstruktion

Gesagt, getan. Karma marschiert seeehhhr vorsichtig über die Leitern. Bei jedem Schritt biegt und knarzt die Konstruktion. Ich folge ihm. Auf der anderen Seite angekommen folgen wir dem Pfad bis zur Gipfelwand. Jetzt gilt es noch 200 Höhenmeter an einem Fixseil hochzuklettern und dann sind wir schon auf dem Gipfelgrat. Der Anstieg ist durch die Absicherung der Fixseile nicht sonderlich schwierig nur kräftezehrend. Als meine Fingerkuppen anfangen, in der Morgensonne aufzutauen und ich mich vor Schmerzen krümme, schießt Karma Fotos von mir. “Die besten Bilder sind die, in denen man nicht posiert, meint er.”

Die letzten Meter hinauf zum Gipfelgrat verbringen wir am Fixseil

Am Gipfelgrat bläst ein derart böiger Wind, dass ich auch hier auf das Fixseil zurückgreife. Den Gipfel haben wir schließlich für uns allein und genießen den Ausblick ins Eismeer zu unseren Füßen. Hinter uns thront die Lhotse-Südwand und erstmals bekomme ich ein Gefühl für die Größe dieser Wand. Der Gipfel dieses Achttausenders befindet sich jetzt nur noch 2000 Meter über uns.

Auf dem Gipfel des Island Peak und im Hintergrund die Lhotse-Südwand
Auf dem Gipfel des Island Peak
Gipfel des Island Peak

Beim Abstieg seilen wir uns an den Fixseilen ab. Bei genauer Betrachtung der Fixpunkte stellen sich mir die Nackenhaare auf, denn diese sind an übergroßen Zeltheringen festgemacht, die sich mit der bloßen Hand bewegen lassen. Wenn die Seile nicht reißen, dann halten vielleicht auch die Heringe, denke ich und versuchen das ganze System so wenig wie möglich zu belasten. Karma ist positiv gestimmt: “Ahh no Problem Thomas, so lange nur eine Person im Seil hängt, halten die auch.” Na klasse denke ich und freue mich bereits auf die Leiterkonstruktion weiter unten. Auch diese überleben wir und nach ca. 2,5 Stunden sind wir wieder im Basislager und das ohne Kopfschmerzen.

Blick auf Dingboche

Am gleichen Tag wandern wir über Chukhung und Dingboche zurück nach Pheriche. Zur Begrüßung empfängt man uns in der Lodge mit den Worten: “Das Wasser in den Leitungen ist gefroren, bitte nur das Badezimmer unten benutzen.” Beim näheren Hinsehen bemerke ich, dass auch hier das Wasser in den Tonnen vor der Toilette gefroren ist. “Welcome back”, denke ich mir und bestelle mit Faroukh einen Whiskey.

Thomas and Karma

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